Die Geschichte "Feinde - Ready, Set, Go!" ist inspiriert aus der Zeit als ich noch den Mut hatte, den Kitzel zwischen unendlichem Glücksgefühl und ebenso großer Todesangst selbst zu erleben. Ein Tandemsprung, sowie acht automatische Solosprünge habe ich bei Sky Dive Albatros in Hartenholm bei Kaltenkirchen erleben können.
Der Mut hat mich danach leider verlassen,
doch die Erinnerung wird niemals verblassen.

 

                Feinde – Ready, Set, Go

 

   Daniels Faust schmetterte mit der Wucht eines Vorschlaghammers gegen die Wand, als er den Sprungplan der nächsten Maschine ansah. Wutentbrannt stürmteer, ohne anzuklopfen, in das Büro der Sprungleitung. Er knallte den Plan mitder flachen Hand auf den Schreibtisch seines Vorgesetzten und bohrte seinenZeigefinger auf den Namen Karsten Strebel.

„Teile jemand Anderen für meinenFlug ein! Verdammt, wieso läßt du ihn springen, wenn ich absetze?“

„Du bist der Einzige, der heuteDienst hat. Er war einmal dein bester Kumpel, schon vergessen?“

 

  Daniel schnaufte angesichts der aussichtslosen Lage. Wie sollte er das jemalsvergessen können? Schließlich waren sie die dicksten Freunde seit sie denkenkonnten. „Scheinbar ist ihm nicht klar, dass das der Vergangenheit angehörtoder wusste er nicht, dass ich Dienst habe?“

„Er hat darauf bestanden mit dir zuspringen.“ Daniel machte auf dem Absatz kehrt. „Hey, klärt euren Scheißwoanders. Du kennst die Regeln beim Springen.“

Ja,beim Springen. Aber auf dem Boden kann ich ihn in Stücke reißen, dachteDaniel. Niemals würde er Karsten denVerrat verzeihen, den er an ihm begangen hatte. Die einzige Möglichkeit, die ihnbisher davon abgehalten hatte Karsten die Zähne auszuschlagen, war ihm aus demWeg zu gehen. Ihm, seinen ehemals besten Freund mit dem er durch dick und dünngegangen war, bis …

 

  Zähneknirschend und vor Wut schnaubend polterte Daniel in den Hangar.Die Springer standen fertig in Reih und Glied und warteten, in die CessnaGrand-Caravan steigen zu dürfen. In ihrer Mitte stand Karsten und kontrolliertedie Justierung seines Höhenmessers. Daniel strebte auf ihn zu, griff in seinGurtzeug und zog ihn mit einem Ruck aus der Reihe. Die Blicke der anderenSpringer interessierten ihn nicht, während er Karsten aus der Halle vor sichher drängte. „Was soll das?“, Daniel brüllte so laut, dass er genausogut imHangar hätte bleiben können. Karsten sah ihm unverblümt in die Augen. „Wasregst du dich auf? Ich springe hier nicht erst seit heute.“ Karstens ruhige Artbrachte Daniels Pulsschlag zum rasen. „Aber du wußtest, dass ich heute hier bin.“

 

  Karsten zuckte die Schultern. „Du bist der beste Ausbilder. Warum sollteich mich mit dem Zweitbesten abgeben?“

Die Zweideutigkeit seiner Antwortlöste einen Impuls in Daniels Faust aus. Sie schnellte vor und kam erst wenigeZentimeter vor Karstens Gesicht zum Stillstand. „Das Zweitbeste hat dir nochnie gelangt. Wie konnte ich das vergessen.“

„Du weißt genau, dass mehrdahintersteckt. Glaubst du, mir ist das leicht gefallen?“

„Lass mich mit dem Scheiß in Ruhe.Mach deinen Sprung und dann geh mir aus den Augen.“ Daniel machte auf demAbsatz kehrt, ging zu den wartenden Springern und gab das Kommando zumEinsteigen.

 

  Der Steigeflug zog sich endlos in die Länge. Noch nie war Daniel dieEnge im Flugzeug so sehr bewusst gewesen. Zusammengekauert saß er bei zweitausendMetern Höhe neben der Tür und versank in den kuriosesten Gedanken, die ihm jein den Sinn gekommen waren. Ich hätteseinen Fallschirm manipulieren sollen. Sein mörderischer Gedankeerschreckte ihn nicht einmal. Der Tod wäre genau die richtige Strafe für das,was er ihm angetan hatte. Als der Höhenmesser dreitausend anzeigte fragte ersich, was Karsten mit seiner Anwesenheit bezwecken wollte. Dass es wirklich nurum einen Spaßsprung ging, erschien ihm nicht glaubhaft. Verstohlen sah Danielzu ihm hinüber und erwürgte ihn im Geiste. Bei dreitausendfünfhundert riß ersich aus seinen Gedanken und richtete seinen Adrenalinstau auf diebevorstehenden Minuten. Er atmete tief durch, sah aus dem Fenster und spürtediese spezielle innere Unruhe, die ihn auf das bevorstehende Vergnügeneinstimmte.

 

  Dreitausendachthundert. Daniel forderte die Springer auf, an die Türheranzurutschen, öffnete das Faltrollo und sog einen tiefen Atemzug der kaltenLuft in seine Lungen. Konzentriert widmete er sich ausschließlich seinerAufgabe. Bei viertausend Metern krachte etwas in den Propeller. Die Cessnageriet augenblicklich ins Trudeln. Geistesgegenwärtig forderte Daniel sämtlicheSpringer zum sofortigen Exit auf. „Go, go, go … raus mit euch!“ Unterschwierigsten Bedingungen rutschten die Skydiver in die Öffnung und stießen sichvon der Maschine ab, die unhaltbar der Erde entgegenrauschte. DreitausendMeter: „Was ist mit dir?“, schrie er den Piloten an.

Der winkte ab. „Ich steige aus,sobald ihr verschwunden seid. Also los!“

 

  Erst jetzt sah Daniel, dass Karsten noch immer in der Maschine saß.„Verdammt, was machst du noch hier? Raus!“

Zweitausend.

„Mit dir!“, brüllte Karsten ihmentgegen, rutschte in die Tür und hielt sich in der Öffnung fest. In dem Momentals Karsten im Begriff war sich abzustoßen, konnte der Pilot die Maschineruckartig für einen winzigen Moment gerade richten. Mit einem dumpfen Knallschlug Karstens Kopf gegen den Rahmen. Tausendfünfhundert. Bewußtlos sank er insich zusammen.

 

  Daniel fluchte. Für den Bruchteil einer Sekunde war er versucht, denMistkerl liegenzulassen. Der Pilot war zu beschäftigt, um etwas mitzubekommenund würde das Flugzeug durch seine eigene Tür verlassen. Er würde ihn alsonicht mehr sehen können. Ich muss denVerstand verloren haben. Eintausend. Im lauten Getöse aus Propellerlärm undFahrtwind, kroch Daniel in die Tür, zerrte Karsten zu sich heran und stieß ihnmit sich zusammen ins Nichts. Siebenhundert. Jeden Moment würde Cypres, dasautomatische Rettungssystem, Karstens Kappe öffnen. Daniel ging sicher undöffnete zuerst Karstens Fallschirm per Hand und dann erst seinen Eigenen. Erhatte die Chance vermasselt, Karsten seine verdiente Strafe zukommen zulassen.

 

  Dabei wäre es ein Unfall gewesen.

Daniel lenkte den Schirm auf dasUfer des Sees zu, zog die Steuerleinen durch und setzte zu einer perfektenLandung an. Karsten, der eine kürzere Freifallzeit hatte, schwebte nochungefähr fünfzig Meter über dem Boden.

Mit einem lauten Knall verschwanddie Cessna hinter einer Bergkette. Rauchschwaden zogen in den Himmel.

Mist.Daniel sah, wie Karsten noch immer bewußtlos unter seiner Kappe hängend,genau auf den See zu trieb. Wenn die Thermik es gut meinte, könnte er es geradenoch schaffen, bevor er das Wasser erreichen würde. Aber sie meinte es nichtgut mit ihm. Ungefähr zwanzig Meter trieb er über der Wasseroberfläche bevor erlandete und mit dem Kopf unter der Kappe verschwand. Der sichere Tod, wenn ernicht schnell an die Oberfläche kommen würde. Fluchend öffnete Daniel seinGurtzeug, streifte es ab und sprang in den See.

 

  Jeder Meter schien zu einem Kilometer zu wachsen. Das eiskalte Wasserraubte ihm den Atem. Er keuchte und kämpfte um jeden Meter. Daniel holte tiefLuft und tauchte unter den auf dem Wasser ausgebreiteten Schirm. Er fand Karstenleblos im Gurtzeug verheddert. Mit vor Kälte schmerzenden Händen öffnete Danieldie Karabiner und befreite Karsten. Unter größter Anstrengung rettete er ihn anden Strand, zog ihn aus dem Wasser und prüfte seinen Puls. Karsten zeigte keineLebenszeichen. Daniel massierte sein Herz, beatmete ihn, massierte wieder undschlug auf seine Brust ein. „Du verdammter Mistkerl wirst jetzt nichtaufgeben“, schrie Daniel ihm ins Gesicht. „Du kannst mir nicht die Frauausspannen, ihr ein Kind anhängen und dich jetzt vor der Verantwortungdrücken.“ Weinend brach Daniel über Karstens Brust zusammen. „Außerdem kannstdu mich nicht einfach zurücklassen. Keine Frau der Welt ist es Wert, sichzwischen unsere Freundschaft zu stellen. Ich habe dich mein ganzes Leben geliebtund liebe dich noch immer.“ Er schlug noch einmal mit der Faust auf KarstensBrust. „Gib jetzt nicht auf. Ich brauche dich.“

 

  Daniel atmete tief durch, wischte sich die Tränen mit dem Ärmel aus demGesicht und sah Karsten an, der seinen Blick erwiderte. Lachend und weinendzugleich, setzte sich Daniel neben Karsten. Er zog die Knie vor die Brust undließ seinen Kopf in die verschränken Arme sinken.

„Hey, du wirst doch jetzt wohlnicht etwa wegen mir heulen?“, fragte Karsten heiser.

Daniel sah auf und lächelte. „Wielange bist du Sack schon wach?“

Grinsend antwortete Karsten: „Langegenug.“

„Vergiss alles was du gehört hast,klar? Ich stehe unter Schock … wegen des kalten Wassers.“ Aus der Ferne hörtensie die Sirenen eines Krankenwagens näher kommen. „Gleich wird man sich um dichkümmern.“

 

  Karsten griff nach Daniels Arm und grinste ihn an. Seine Lippenzitterten. „Kein Wort davon werde ich vergessen.“ Er hustete und verzerrte dasGesicht vor Schmerz. „Ich danke Gott für meine Verletzungen. Den Preis zahleich gerne, für die Worte, die ich gehört habe.“

„Ist ja gut. Sieh lieber zu, dassdu auf die Beine kommst.“

Der Krankenwagen rumpelte an denSandstrand. Das Rettungsteam eilte auf Karsten zu und übernahm dieErstversorgung. Unsicher hielt Daniel sich im Hintergrund als Karsten zumKrankenwagen getragen wurde.

„Daniel?“, rief Karsten ihn. Ereilte zu ihm an den Wagen und sah in Karstens Augen. Karsten griff nach seinerHand. „Können wir jemals wieder Freunde sein?“

Daniel senke den Blick. „Ich hassedich.“ In seinen Augen standen Tränen. „Und liebe dich.“

 

© Tanja Hollmann

 

 

 

                    

 

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